Keith Aucoin: Der Tom Brady des Eishockeys
Keith Aucoin ist in die Jahre gekommen, aber an seiner Effizienz hat der Angreifer des EHC nicht eingebüsst. Das Geheimnis ist die Liebe zum Spiel.
Autor: Christian Bernhard
Herr Aucoin, haben sich Ihre Angriffspartner eigentlich schon einmal bei Ihren Eltern bedankt?
Warum sollten Sie?
Weil Sie Ihnen beigebracht haben, dass man die Scheibe, wann immer es geht, abspielt.
Ach so (lacht). Das müssen sie nicht. Es ist mein Job, anderen dabei zu helfen, Tore zu schießen. Ich liebe es, meine Reihenkollegen scoren zu sehen.
Das klappt sehr gut, die 100-Assist-Schallmauer haben Sie in der DEL in weniger als zweieinhalb Jahren durchbrochen.
So bin ich aufgewachsen. Meine Eltern haben mir von Anfang an gesagt: Sei uneigennützig und passe die Scheibe. Manchmal tue ich es zu oft, denn es gibt Situationen, in denen ich besser schießen sollte, aber trotzdem passe. Aber so bin ich nun mal. Die Ansagen meiner Eltern und die Beobachtung meiner Vorbilder Craig Janney und Adam Oates haben mich zu dem Spieler gemacht, der ich bin.
Eishockey spielt seit Ihrer Geburt eine zentrale Rolle in Ihrem Leben.
Eishockey war immer meine Nummer 1. Ich stand schon mit 3 Jahren auf Schlittschuhen, habe auf dem See gezockt und bin um 6 Uhr morgens aufgestanden, um zu spielen. Zusammen mit meinen Eltern habe ich die Spiele der Boston Bruins angeschaut und als Weihnachtsgeschenk waren Karten für Bruins-Spiele das Größte für mich.
Ihre Eishockey-Begeisterung ging so weit, dass sie Ihnen sogar in der Schule zugutekam.
Ich hatte Probleme beim Erlernen des L. Als wir nicht mehr weiterkamen, haben mir meine Eltern gesagt: Male einen Eishockeyschläger! So habe ich das L gelernt. Es ist verrückt – zeigt aber, wie groß die Eishockey-Leidenschaft bei uns in der Familie ist.
Ihr drei Jahre jüngerer Bruder Phil hatte es dabei nicht immer leicht.
Wir haben immer auf der Straße gespielt. Da er der Jüngste war, musste er ins Tor. Und da wir nicht immer einen Helm dabei hatten, ist er schon mal mit blauen Augen und geschwollenen Lippen nach Hause gekommen. Aber das hat ihn nur härter gemacht (lacht).
Heute zurückzudenken ist super
Was wäre ein Leben ohne Sport für Sie?
Eigentlich kaum vorstellbar. Die Herausforderung, raus zu gehen und sich mit anderen zu messen, ist tief in mir drin. Wenn ich nicht Sport mache, schaue ich ihn im TV. Nicht mehr Teil einer Mannschaft zu sein, wird das Schwerste sein, wenn ich mal nicht mehr aktiv sein werde.
Sie haben 145 Spiele in der NHL bestritten. Was sind Ihre ersten Gedanken, wenn Sie an diese Zeiten zurückdenken?
Ich erinnere mich noch heute an den Anruf, als mir mitgeteilt wurde, dass ich mein NHL-Debüt feiern würde. Mein damaliger Coach hat mich in meinem Zimmer im Mannschaftshotel angerufen, mich aber nicht erreicht, da ich die Zimmer mit meinem besten Kumpel getauscht hatte. Ich habe es dann sofort meinen Eltern gesagt, und die haben mich abgeholt und zum Flughafen gebracht. Als Zweites kommt mir mein erstes Tor in den Sinn. Das habe ich gegen Martin Brodeur geschossen, einen der besten Torhüter aller Zeiten. Das kann mir niemand mehr nehmen.
Gleich in Ihrer ersten NHL-Saison waren Sie auch noch Teil der Carolina Hurricanes, die den Stanley Cup gewannen.
Oh ja. In den Playoffs kam ich aber nicht zum Einsatz, das hätte es für mich noch viel toller gemacht. Wir sind aber mit dem Team gereist und haben mit den Stammspielern trainiert. Am Abend, als wir den Cup geholt haben, war auch mein Vater im Stadion. Wir haben tolle Bilder gemacht.
Sie haben mit vielen großartigen Spielern zusammengespielt. Mit wem war es am beeindruckendsten?
Da gab es einige. In Washington stand ich in einer Reihe mit Alexander Owetschkin, damals und heute einer der weltbesten Spieler. Sehr gerne erinnere ich mich auch an Sergei Fjodorow zurück, er war ein echt netter Bursche. Ein Höhepunkt war mein Playoff-Duell mit Sidney Crosby. Bevor du aufs Eis kommst, denkst du eine Sekunde darüber nach, wer dir da gegenübersteht – dann musst du es aber sofort ausblenden. Heute zurückzudenken, ist super: Ich habe mit einigen der weltweit Besten gespielt und gegen die Besten, das empfinde ich als großes Glück.
In der Zwischenzeit sind Sie zum Vorbild geworden. Der 21-jährige NHL-Star Jack Eichel, der aus Ihrer Heimatstadt Chelmsford stammt, hat in seiner Kindheit zu Ihnen aufgeschaut.
Es ist Zeit für die Wachablösung. Jetzt ist er der Platzhirsch in unserer Stadt.
Ich liebe diesen Sport einfach immernoch
Wie hat sich der Eishockey-Sport im Laufe Ihrer langen Karriere verändert?
Zu Beginn meiner Karriere war es mehr ein Spiel für die großen und starken Jungs, auf dem Eis wurde viel gehalten und gehakt. 2005 hat die NHL ihr Regelwerk geändert und das Spiel wurde deutlich schneller. Das half mir und all den kleineren, wendigeren Spielern. Heute sind die Jungs groß und schnell, so wie Connor McDavid, der trotz seiner Größe über das Eis fliegt.
Sie wurden aufgrund Ihrer 1,73 Meter Körpergröße nie gedrafted. Hätten Sie bessere Chancen gehabt, wenn Sie ein paar Jahre später in die NHL gekommen wären?
Vielleicht. Als ich aus der Highschool kam, war ich noch deutlich kleiner. Ich habe erst auf dem College Masse und Zentimetern zugelegt, später als viele andere.
Eine Legende wurden Sie trotzdem. Mit 857 Scorerpunkten sind Sie einer der erfolgreichsten Angreifer in der Geschichte der AHL, der zweithöchsten Liga in Nordamerika. Erinnern Sie sich noch an die vielen Busfahrten?
Und wie. Oft sind wir nach zehnstündigen Fahrten um 5 Uhr morgens von einem Auswärtsspiel zurückgekommen und hatten am selben Abend schon wieder ein Spiel. Wir haben regelmäßig an drei aufeinanderfolgenden Tagen gespielt. Wenn du jünger bist, stört dich das nicht: Du schläfst einfach bis 12 Uhr mittags. Mit Kindern ist das nicht mehr so einfach. Aber die Zeit im Bus war auch witzig, obwohl die Technologie damals noch nicht so ausgereift wie heute war. Manchmal musste auch ein iPod mit Musik ausreichen (lacht).
Heute rocken Sie mit 39 Jahren die DEL. Was ist Ihr Geheimnis?
Da gibt es keines. Ich bin nicht mehr so schnell wie früher, aber ich lese das Spiel sehr gut. Ich weiß schon, was ich mit der Scheibe machen werde, bevor ich sie spiele. So bin ich anderen oft einen Schritt voraus. Dazu kommt, dass ich diesen Sport einfach immer noch liebe.
Ihr Angriffspartner Brooks Macek hat kürzlich gesagt, Sie werden immer noch besser.
Das glaube ich nicht (schmunzelt). Mit Brooks macht es großen Spaß. Wir müssen gar nicht viel miteinander sprechen, ich weiß, wo er auf dem Eis ist und er weiß, wo er mich findet. Manchmal nennt er mich den Tom Brady des Eishockeys. Dieses Kompliment nehme ich gerne an, Brady ist einer meiner Lieblingssportler.
Wenn ich alleine wäre, würde ich womöglich spielen, bis es nicht mehr geht
Spüren Sie Ihr Alter manchmal?
Es gibt Abende, da fühle ich mich träge. Das ist mir früher nicht passiert. Aber das ist Teil des Älterwerdens, speziell in einem Sport mit so viel Körperkontakt.
Sie haben mal erzählt, dass Sie es spüren, wenn Sie ein harter Check erwartet. Können Sie das erklären?
Ich will nicht behaupten, dass ich mit meinen Augen 360 Grad abdecken kann, aber selbst wenn ich auf dem Eis nach vorne blicke, kriege ich mit, was links und rechts von mir passiert. Mein Kopf ist immer oben, so weiß ich, wann ich in Gefahr bin. Mein peripheres Sehen hilft mir, den auf mich zulaufenden Gegner früh zu erkennen: So kann ich mich gut schützen.
Sie peilen mit München die dritte Meisterschaft in Serie an. Wie holt man Titel?
Ich war Teil einiger sehr talentierter Teams, die auf dem Papier erfolgreich hätten sein müssen, es aber nicht waren. Hier in München ist es so: Der Kern der Mannschaft ist seit drei Jahren derselbe und wir verbringen auch außerhalb des Eises viel Zeit miteinander. Das macht viel aus, denn so sorgst du dich mehr um deine Mitspieler. Unsere Chemie stimmt. Wir sind schwer zu bespielen, da wir vier starke Angriffsreihen haben, von denen jede den Unterschied machen kann. Unser Spielsystem ist sehr unangenehm für den Gegner: Wenn wir unser Spiel spielen, ist es für die Gegner schwer, überhaupt aus ihrem Drittel zu kommen.
Welche Rolle spielt Trainer Don Jackson dabei?
Don ist großartig. Er muss gar nicht laut werden, um uns zu erreichen. Als wir im November drei Spiele in Serie verloren haben, ist es in der Kabine vielleicht einmal lauter geworden. Er ist einer von uns. Wenn du in die Kabine kommst und nicht wüsstest, wer der Trainer ist, würdest du wahrscheinlich nicht drauf kommen. Vielleicht nur, weil er älter ist als wir Spieler.
Im November werden Sie 40 Jahre alt. Wie lange möchten Sie noch als Profi spielen?
Ich denke von Jahr zu Jahr. Es geht ja nicht mehr nur um mich, sondern auch um die Kinder. Das ist eine Familienentscheidung. Wenn ich alleine wäre, würde ich womöglich so lange spielen, bis es nicht mehr geht. Aber so lange wir in München Erfolg haben, wird es schwer werden, loszulassen. Wenn ich weitermache, dann hier. Ich würde nirgendwo anders hingehen. Wie in den letzten Jahren werde ich mich nach der Saison mit dem Verein zusammensetzen und alles in Ruhe besprechen.
Für die nächste Eishockey-Generation haben Sie mit ihren beiden Söhnen Bray- den und Nathan ja schon gesorgt.
Beide lieben es, auf dem Eis zu stehen. Brayden ist auch Stürmer, bei Nathan ist es noch nicht so klar. Er könnte ein Verteidiger werden. Ihm gefällt es, Steve Pinizzotto nachzumachen, indem er versucht, gegen Brayden zu kämpfen. Das muss ich ihm noch austreiben (lacht).
Hat Brayden auch schon Ihre Pass-Liebe im Blut?
Ich sehe ihn mehr schießen als passen, da habe ich noch Arbeit vor mir. Aber ich habe Christian (Winkler, Münchens Manager, Anm. d. Red.) bereits gesagt: Besser, du nimmst ihn jetzt schon unter Vertrag (lacht).
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